Ich habe oft darüber gesprochen, wie sehr mich Kolibris Leseecke erfüllt. Wie sehr mich jedes Kinderlachen, jede vorgelesene Geschichte und jedes leuchtende Augenpaar in diesem Raum berührt. Und ja, Kolibri ist gewachsen. Was als Herzensidee begann, hat mittlerweile über fünfzig ehrenamtliche Mitstreiterinnen und Mitstreiter gefunden. Mehr als einhundert Veranstaltungen durften wir bereits gestalten – Lesungen, Workshops, Begegnungen voller Wärme und Begeisterung. Kolibri ist nicht mehr nur ein Projekt. Es ist ein kleines Unternehmen geworden. Eines, das Struktur braucht, Organisation, und – ja, leider auch Geld.
Und da beginnt einer der ersten Schatten auf diesem leuchtenden Bild. Denn so sehr wir darin aufgehen, Kolibri lebendig zu gestalten, so wenig haben wir bisher gelernt, wie man es finanziert. Spenden sind notwendig, werden aber zur Herausforderung. Wir sind stark im Tun, aber schwach im Bitten. Eine Schwäche, die wir uns langfristig nicht leisten können, wenn Kolibri überleben soll.
Was aber fast schwerer wiegt als Zahlen und Bilanzen, ist die Zeit. Ich bin selbstständig – mein Hauptjob fordert mich täglich zehn Stunden. Und dann kommen da noch drei Stunden Kolibri dazu. Jeden Tag. Ich trage das mit Liebe. Ich glaube an das, was wir tun. Aber diese Zeit fehlt woanders. Sie fehlt meiner Familie.
Mein Mann – mit all seinem Herzblut dabei – trägt das Projekt mit. Er versteht mich, stützt mich. Doch unsere drei Kinder erleben das ganz unterschiedlich. Meine Große, zwanzig Jahre alt, lebt in Baden-Württemberg. Unser Kontakt ist liebevoll, aber naturgemäß distanzierter. Mein Sohn, vierzehn, ist in seiner Pubertät angekommen – auf die beste Art: Er entdeckt Schule und Sport für sich und ist viel mit sich und seiner Entwicklung beschäftigt.
Und dann ist da meine Jüngste.
Sie braucht mich. Jetzt. Mehr, als mir bewusst war. Ihr Tag ist voller neuer Eindrücke, voller Fragen und Emotionen. Ihr Körper will erwachsen sein, ihr Kopf ist es vielleicht schon – aber ihre Seele möchte noch Kind bleiben. Und sie kämpft. Mit sich. Mit dem Leben. Und manchmal auch mit mir. Denn Kolibri nimmt mir Zeit. Zeit, die ihr fehlt. Zeit, die sie mir deutlich einfordert.
Wenn man ein Projekt plant, denkt man an viel – aber selten an den Moment, in dem das eigene Kind vor einem steht und sagt: „Ich hasse dein Projekt.“ Nicht aus Trotz. Nicht aus Laune. Sondern aus echtem Schmerz, weil sie das Gefühl hat, dass es ihr etwas wegnimmt, das sie braucht: mich. Ihr Mama-Sein.
Es war einer der schwersten Sätze, die ich je gehört habe. Und er hat mein Herz zerrissen. Und doch – wenn ich ehrlich bin, wenn ich versuche, mich in sie hineinzuversetzen – vielleicht würde ich genauso fühlen.
Kolibri soll Kinder stärken. Ihnen Raum geben. Sie fördern. Doch was ist, wenn das eigene Kind in diesem Moment leer ausgeht?
Es ist Zeit, Kolibri neu zu denken. Weiterzufassen. Ich werde meinen Blick jetzt bewusster nach innen richten – in meine Familie hinein. Kolibri darf kein Grund für Ablehnung sein. Kein Auslöser für Hass. Ich will es zu einem Projekt machen, das auch meine Familie mittragen kann – vielleicht nicht begeistert, aber in Akzeptanz. Oder, wer weiß, sogar mit einem Funken Freude. Weil sie sehen, dass es mich erfüllt. Weil sie spüren, dass es mir guttut. Weil sie merken, dass eine ausgeglichene Mama auch eine bessere Mama ist.
Kolibri soll kein Keil sein. Sondern ein Kreis. Ein Kreis, in dem Liebe Platz hat – und Platz lässt. Auch für meine Liebsten.
In Liebe – wie immer,
Nicole Feldberger