Die Reise beginnt in Tokio Narita, nicht direkt in Tokio, sondern etwa 60 km weiter nordöstlich. Ein langer Flug von München über Doha liegt hinter mir. Ich fühle mich ein wenig wie ein Origami-Kranich, der gerade seine Flügel entfaltet. Die Flughafenhalle ist belebt und voller fremder Stimmen. Ein Gemisch aus Aufregung und Erschöpfung durchströmt mich. Seit dem zweiten Teil des Fluges bemerke ich Schmerzen an Stellen meines Hinterns, von denen ich nicht einmal wusste, dass sie existieren. Oh ja, das charmante Gefühl eines Langstreckenflugs in der Economy Class! Doch ich lasse mich von einem schmerzenden Hinterteil nicht entmutigen. Nein, ich bin hier, um zu erkunden, zu lernen und zu wachsen. Ich springe in unseren Mietwagen, bereit für die Abenteuer, die uns in Japan erwarten.
Mit den Worten: „Auf der linken Spur zu fahren oder rechts zu überholen sollte dir ja nicht schwerfallen“, necke ich meinen Mann und lade ihn liebevoll dazu ein, die erste Fahrt von Narita zum vier Fahrstunden entfernten Fuji, unserer ersten Station in Japan, zu übernehmen – nichtsahnend, dass es sechs Stunden sein werden. Trotz des Navigationsgeräts, das uns eigentlich um den Großstadtdschungel Tokios herumführen sollte, hat die „Kürzeste Route“-Einstellung uns mitten durch den Linksverkehr der 37-Millionen-Metropole geleitet. Mitten durch! Es war eine Art Sightseeing-Tour aus der Autobahn-Perspektive, quasi ein „Tokio im Zeitraffer“. Ja, das passiert, wenn Technologie auf Menschen trifft – oder eher, wenn Technologie auf meinen Ehemann und mich trifft.
Ich bin nicht immer mutig, wirklich nicht. Lange habe ich darüber nachgedacht, ob ich euch hier in meinem Blog tief in mein Inneres blicken lassen sollte. Aber heute traue ich mich, denn das bin ich, und es wird euch helfen, mich zu verstehen. Was nun folgt, ist ein Zwiegespräch zwischen meinem deutsch-strukturierten Verstand und meinem Herzen, das in eine Million Richtungen schlägt. Denn das ist mein ungeschöntes ich – daher eine kleine Vorwarnung, denn jetzt wird es emotional.
Ich hatte einen dieser lebensverändernden Momente. Kennt ihr das auch? Momente, die alles für immer verändern, die prägend sind. Kurz vor dem gescheiterten Versuch des Aufstiegs auf den Fuji San hatte ich eine Begegnung mit einem älteren Herrn, einem Restaurantbesitzer, bei dem wir am Abend vor unserem geplanten Aufstieg essen waren. Ich bat ihn, mir eine Weisheit oder einen Spruch zu nennen, der die japanische Lebensart beschreibt – und ja, die Kommunikation fand, da beide Seiten ein sehr verbesserungswürdiges Englisch sprechen, in Etappen und halb pantomimisch statt. Dennoch, nach Minuten der verbalen und gestikulierenden Kommunikation antwortete er: „Ganbatte kudasai“ – frei übersetzt „Gib in allem dein Bestes“
Bei jedem Atemzug, bei jedem Schritt auf dem Weg zum Gipfel des Fuji schwebte dieser schlichte Satz durch meine Gedanken. Ich versuchte, ihn in das Kontor meines Verstandes einzubuchen, als wertvolle Ware oder als erhellende Erkenntnis. Aber innerlich war dieser Satz an mein Herz und nicht an mein Verstand zu adressieren.
In meinem Inneren führte mein Verstand ein Gespräch mit meinem Herzen:
‚Liebes Herz, ich höre, was du fühlst. Ich spüre die Wärme und Begeisterung, die aus deinen Kammern pulsiert, seit wir in Japan angekommen sind. Du hast dich nicht einfach nur angetan gefühlt; du hast dich verliebt in eine gesamte Kultur, in eine ganze Lebensphilosophie. „Ganbatte kudasai“ – ja, ich habe das nachgeschlagen. Aber du, Herz, du hast die Bedeutung in dem Moment verstanden, als die Worte ausgesprochen wurden. Das ist eine Art der Erfahrung, die ich nicht immer vollkommen greifen kann.‘
Nun sage ich dir, liebes Herz, halte fest an dieser wundervollen Entdeckung. Lass diese einfache, aber tiefe Weisheit in dir zirkulieren, wie das Wasser in einem Zen-Garten, mit einer stillen, aber unaufhaltsamen Energie. Lass sie unsere Beziehung zu unseren Kindern bereichern, das Band zwischen mir und meinem Mann stärken, unsere Wahrnehmung der natürlichen Welt schärfen und jeden Beitrag in ‚Kolibris Leseecke‘ mit zusätzlicher Bedeutung versehen. Du hast mich, liebes Herz, an Orte geführt, die ich alleine niemals hätte finden können. Also bitte, sei meine Leitplanke auf dieser Lebensreise, meine inspirierende Muse, und lass uns gemeinsam unser Bestes geben. Ganbatte kudasai.
Nach diesem Ausflug in mein innerstes ich schulde ich euch aber auch ein Update zu den Entwicklungen in „Kolibris Leseecke“. Unsere zwei neuen Gesichter, die das Projekt bereichern werden, Dominik und Sarah, sind ab Oktober offiziell an Bord, ebenso kann ich es kaum erwarten, meine Kinder mit einzubinden. Wenn ich an meine pubertierenden Sprösslinge denke, fällt mir ein weiteres (eigens für diesen Blog gegoogeltes) japanisches Sprichwort ein: „Kodomo no koro wa kamisama no menomae“ – „in der Kindheit sind wir vor den Augen der Götter“. Ihre jugendliche Perspektive ist ein unschätzbarer Schatz, den ich in meine Projekte und Pläne integrieren möchte. Dieser Ausflug ins Land der aufgehenden Sonne hat meine Beziehung zu meiner Familie vertieft. Wir haben erneut gelernt, dass es nicht die materiellen Dinge sind, die Glück bringen. Es sind die Momente der Stille, das kollektive Verstehen, die uns zusammenschweißen.
Während meiner Reise hat die Marke „Kolibris Leseecke“ nun eine juristische Sicherheit erlangt. Sie wurde beim Marken- und Patentamt angemeldet und akzeptiert. Diese kleine, aber signifikante Errungenschaft macht das Projekt zukunftsfähig und das Herz, das ich aus Japan mitgebracht habe, noch stärker.
Die Arbeit ruft, und ich bin voller Energie, die Initiative zu ergreifen. Schon in meinem Kopf formen sich die Konturen: ein Ort, der nicht nur Bücher beherbergt, sondern auch die Seelen der Kinder, die dort lesen werden. Und ich danke dem Himmel und der Erde, dass mein Rechtsbeistand mich auf die Möglichkeit einer Stiftung anstelle eines Vereins hingewiesen hat. Ein sicherer Hafen für die Menschen, die an meiner Seite stehen.
In diesem Sinne: Ganbatte kudasai, liebe Leser. Wir sehen uns in Kolibris Leseecke, wo jedes Buch ein Universum und jedes Wort ein Stern ist.
Mit tiefer Liebe und Dankbarkeit,
Nicole